Eröffnungsrede: Über die Werkreihe von Abir (Köln, 2002)



Die in Damaskus geborene Malerin Abir hat Chemie und Sonderpädagogik für Gehörlose studiert und mit 2 Staatsexamen abgeschlossen. Künstlerisch hat sie ihr klassisches Medium in den letzten acht Jahren mehr und mehr in ganz eigene, chemisch-experimentelle Gefilde vorangetrieben.

 

Charakteristisch für Abirs Kunst ist der ausgefallene Werkstoff Wachs, der ihren Bildobjekten ihre spezifische ästhetische Erscheinung verleiht und ihre Koloristik auf verhaltene Nuancen reduziert. Das gilt nicht nur für ihre hier zuletzt gezeigten „edlen Elemente“ aus periodensystemischer Perspektive, sondern auch für die aktuelle Werkreihe.

 

Wachs, dieses weiche, formbare, opake Material, spielt eine wichtige Rolle in der kulturellen Ikonografie der Erinnerung, denn es besitzt zum einen die Fähigkeit, Objekte einzuschließen und zu konservieren, zum anderen ist die Wachstafel eines der ältesten Medien, um Schrift zu fixieren. Beide Aspekte, des Bergens und Verbergens und der schriftlichen Mitteilung, prägen auch das Werk von Abir.

 

Die beabsichtigte Transparenz schafft Abir durch ihre besondere Technik, indem sie Seide in Wachs tränkt und in Schichten so übereinanderlegt, ohne die vorherige Schicht aufzulösen oder zu überdecken. Die ganz gezielt übereinander platzierten Schichten sind es, die ihren Bildobjekten Plastizität und Tiefenwirkung geben. Unterstützt wird diese Räumlichkeit durch die verschiedenen Farbschichten, durch die ihre Bilder zusätzlich Struktur erhalten und objektartig wirken.

 

Größtenteils sind es quadratische, kompakte Wachsblöcke, in Formaten bis zu 2 x 2 Meter, an denen sie die vielfältigen Möglichkeiten ihres seltenen Materials Schritt für Schritt vor Augen führt: Da gibt es stille, sensible Bilder, die an ihre frühere Phase der abstrakten Malerei erinnern. Informelle, mit ausgeprägtem Farbgefühl komponierte Formgebilde schimmern leicht und zart durch die opake Oberfläche hindurch, eingeschmolzen in bis zu 33 Wachsschichten, die sie im Laufe des Arbeitsprozesses auf ihren Objektblöcken verteilt hat. Je tiefer eine Bildebene sich im Wachsblock befindet, desto verschwommener, unklarer nehmen wir sie wahr. Ähnlich verhält es sich auch mit unserer Erinnerung im Verlauf der Zeit.

 

Das Wachs lässt die Farbkraft zurücktreten vor einem weichen, ineinander-übergehenden Kolorit. Die Verhüllung des malerischen Kerns wirkt sich beruhigend, fast meditativ auf die Empfindung des Betrachters aus. Konturen scheinen zu verschwimmen, eine Harmonie zwischen Bild und Betrachter stellt sich ein.

 

Auch Abirs mit Kinderschrift versehene Wachsblöcke beabsichtigen eine direkte Kommunikation mit dem Betrachter; der Bildcharakter wird hier durch die abstrakte Ebene der Sprache erweitert, die sich aber nicht, wie wir das üblicherweise von Sprache als einem Medium der Information erwarten, klar und unmissverständlich mitteilt. Vielmehr zeichnen sich die in ihrer Werkreihe „Beziehungsdynamiken: Freundbilder - Feindbilder" - ein gegenwärtig hochaktuelles Sujet – auf Seide in Wachs eingebetteten Botschaften durch ihre sprachliche Mehrdeutigkeit aus.

 

 

In Abirs Kunst verbinden sich interkulturelle Aspekte mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und malerischen Fragestellungen zu spannenden Bildobjekten von großer künstlerischer Sensibilität.

Zur Ausstellung ist ein Bild-Kalender 2003 erschienen.  

Dynamische Starre, 2002